Offener Dialog, eine alternative Methode aus Finnland zur Heilung von Psychosen

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  • #235215

    Ich finde das hochinteressant. Vor allem umgehauen hat mich deren Umgang mit Medikamenten, dass die Neuroleptika nur in wenigen Fällen geben, wo es nicht anders geht, und so wenig und so kurz wie möglich. Auch Klinik nur kurz und nur dann, wenn es nicht anders geht, weil das alte Umfeld zu gefährlich ist. Und dann wollten sie noch mit Studien schauen, ob eine bessere Medikamentengabe bessere Heilungschancen bringt…und die, die am wenigsten damit machen, haben aber die besten Erfolge…

    Also wenn ihr die Methode hier als weichgewaschen oder träumerisch oder gar gefährlich kritisiert, dann schaut euch bitte erstmal die Erfolge an, die die damit haben, weswegen man überhaupt auf die aufmerksam geworden ist. Weil deren Patienten eben kaum versumpfen, sondern zu einem grossen Teil wieder gesund werden. Das ist nämlich nicht nur Wunschdenken, sondern scheinbar mir Langzeitstudien belegt.

    Naja, da ist schon was dran was ihr sagt, dass Patienten in unserem System alleingelassen werden. Ich habe das auch so erlebt. Es ging nur darum, abzulenken und mit Disziplin in den Klinikalltag zu integrieren. An der Aufarbeitung der Erlebnisse, am Umgang mit ihnen, an konkreten Problemlösungen, wurde gar nicht gearbeitet. Entspannung und Ruhe und Gespräche? Fehlanzeige, stattdessen ein Stundenplan mit Zwangsbeschäftigungen. Statt zu therapieren, haben die scheinbar irgendwie versucht, mit Ablenkung und Medikamenten die Psychose zu “verdrängen”. Fast so, als gäbe es sie nicht, als dürfe es sie gar nicht geben, als wäre das einzig sinnvolle, sie möglichst einfach nur zu vergessen. Auch zugehört wurde nicht richtig. Die Ärzte haben nur auf bestimmte Stichworte gelauscht, wie Stimmenhören oder Gedankenlautwerden, oder Verfolgungsängste, und danach dann komentarlos die Dosis angepasst, ohne auch nur das geringste bisschen  zuzuhören oder praktische Tipps im Umgang zu geben. Nach der Klinik musste ich dann lange suchen, überhaupt Ärzte zu finden, die nicht einfach nur immer mehr Neuroleptika in mich reinpumpen wollten, sondern mir zugehört haben und meiner Einschätzung der Sache und meines Zustands Gehör geschenkt haben.

    Gerade das fehlt wahrscheinlich den meisten, dass ihnen einfach mal jemand zuhört, was sie da alles erleben müssen, und dann man ihnen zeigt, dass man sie versteht und die Situation in der sie sind. Sonst fühlt man sich ja allein, mit seinem Horror. Und sich mit so etwas wie einer Psychose alleine fühlen zu müssen, ist auch erst Recht so etwas wie ein Horror, wie eine Szene aus einem wirklich unguten Film. Ein erzwungenes Schweigen, das finde ich ernsthaft gruselig ist in dem grossen Maßstab, wie es in Deutschland und anderswo stattfindet. Was sich so einfach beheben liesse, indem man dieses Schweigen endlich mal bricht, und die Leute erzählen lässt, ihnen zuhört, und ihnen zeigt, dass sie mit ihrem Erleben verstanden und nicht einfach deswegen abgelehnt und “ausgemustert” werden.

    Das mit dem “Verdrängen” kann natürlich nur nach hinten losgehen in vielen Fällen. Wer Probleme hat, und sie immer nur runterschluckt, und nie löst, der wird sie auch nie richtig los, und sie gären dann im Hinterkopf immer weiter und ziehen einen auch immer weiter runter. Wer nie seinen Frieden mit den Problemen in seinem Leben machen kann, nie seinen Frieden mit der Psychose machen kann, den lässt sie wahrscheinlich auch so schnell nicht mehr los. Wer keine Hilfen bekommt, ausser der Anweisung betäubende Pillen zu nehmen, der hat auch in der Regel keine Idee, keinen Ansatzpunkt, wie diesem Berg an Problemen überhaupt beizukommen wäre. Deswegen geben wahrscheinlich so viele auf, geben sich auf, obwohl es bei vielen wahrscheinlich einfach nur einen Anfang bräuchte, damit die Probleme mal alle zur Sprache gebracht und hoffentlich auch gelöst würden.

    Ich denke auch, das ist der Behandlungserfolg in Finnland. Das die Menschen reden, das jeder gehört wird und eine gute Diskussionskultur herrscht, und zwar nicht einfach kalt über den Patienten hinweg, sondern MIT dem Patienten, ohne erzwungene Autorität, dafür mit Zuhören und einer grossen Erfahrung, was alles dabei Linderung bringen kann. Und die lösen dann ja scheinbar auch die Probleme im Team, anstatt sie einfach nur wegwischen zu wollen.

    Das macht wahrscheinlich viel daran aus, dass die die Patienten unterstützen, ihr Leben und ihre Probleme selbst in den Griff zu kriegen, statt sie einfach nur ruhigzustellen. Dass überhaupt über solche Probleme und Lösungen gesprochen wird, und nicht nur kalt und hart die Messlatte “Leben” vor die Nase gesetzt wird, und dann gesagt wird, “spring drüber, oder du bleibst zurück”.

    So sehe ich nämlich unser System an, nicht nur in der Psychiatrie, sondern im ganzen Alltag, ein ganzer Wald aus grausam hohen Messlatten, mit denen die Menschen permanent zu ihrem Schaden diszipliniert werden, anstatt dass man ihnen einfach nur mal etwas Frieden und Ruhe zur Selbstentfaltung gönnt. Und die, die zurückbleiben, weil sie nicht hoch genug springen können, die gehen halt an ihren Psychosen oder sonstigen Problemen zugrunde. Gehen womöglich noch an Strafmassnahmen zugrunde, wenn sie mal wieder nicht auf Kommando hoch genug springen konnten…also nicht nur zurückgelassen, sondern aktiv ausgesiebt, eine aktive Selektion der Gesellschaft findet meiner Meinung nach statt, scheinbar ohne dass die Menschen diese ungeheuerlichen Verbrechen an der Würde von unzähligen überhaupt mitkriegen würden. Und ich glaube, die Menschen kriegen solche Psychosen überhaupt auch erst wegen der vielen Messlatten, und der vielen Peitschen, mit denen täglich andere Menschen versuchen, sie zum Stolz oder Nutzen von irgendwem, der den Hals nicht voll genug bekommt, ‘rüberzuprügeln, jeden verdammten Tag auf’s neue.

    Schade, dass im Beitrag hauptsächlich nur die Therapeuten mit ihrer Meinung zu der Methode zu Wort kamen, aber wenig zu Sprache kam, wie diese Methode dann in der Praxis konkret abläuft. Ich würde gerne mal hören, was für Ratschläge da kommen und was für Eingriffe die dann mit den Patienten tatsächlich machen. Das ist natürlich wegen Datenschutz schwierig, trotzdem wüsste ich gerne, wie solch eine Sitzung dann im Detail ablaufen kann.

    Kennt jemand von euch Quellen, wo solche Dinge konkreter geschildert werden, wie so eine Sitzung abläuft? Mir schien so, dass Kern der Methode ist, dass sie aus der Situation und am Bedarf vom Patienten und aus ihrer praktischen Erfahrung und den ganz konkreten Problemsituationen behandeln. Trotzdem bin ich mehr als interessiert, darüber mal Beispiele zu erfahren, wie so eine Sitzung dann abläuft. Weil irgendwas müssen die richtig machen. Ihre Behandlungserfolge liegen sicher nicht nur an der vielen Ruhe auf dem flachen Land, die die da haben…

    #235219
    Anonym

      @ Plan B

      Nach meinem zweiten psychotischen Schub (Gott sei dank hatte ich gesamtgesehen nur 2 Schübe) hatte ich einmal ein halbes Jahr Verhaltenstherapie und nach dem Tod meines Vaters hatte ich ein ganzes Jahr “Quatscherei”, nach welchem Konzept kann ich leider nicht sagen !? Jedenfalls mein Therapeut, den ich die ersten 20 Jahre hatte, war noch von der alten Schule und strikt gegen Gesprächstherapien für Schizophrene.

      Seine Haupttherapie war Ablenkung: Arbeiten gehen, Sport und Cafehäuser bzw. Bars, jedenfalls nicht zu Hause sitzen und Nabelschau betreiben ! Damit bin ich immer recht gut gefahren, stecke nur derzeit in einem Tief aus anderen Lebensgründen.

      Dialoge für frische Psychotiker, da gebe ich Dir recht, ist schwierig, aber jemand der zuhört und aufpaßt, dass man nicht aus dem Fenster im 10. Stock springt, weil man denkt man kann fliegen, erachte ich für sehr wirksam !?

      #235226
      Anonym

        @ ardentglow: Ich stimme Dir vollkommen zu !

        #235231
        Pia

          Wie soll mit einem einen „Dialog“ anfangen, der komplett in der eigenen Welt unterwegs ist und jeden Bezug zur Realität verloren hat? Meist Enden solche Versuche ja mit „Ich habs gewusst, du bist Teils des Systems, du gehörst auch zur CIA und überwachst mich“ z.B. Unzählige Beispiele hier im Forum bestätigen das, ab einem bestimmten Punkt erreicht man mit Gesprächen und guten Worten gar nix mehr. Erst muss man den Bezug zur Realität wieder haben (da können NL unterstützen) und dann kann man mit Therapie anfangen.

          Ich, PlanB, war jederzeit ansprechbar und konnte jederzeit, auch während ich psychotische Symptome hatte, Dialoge führen und auch über andere Ansichten oder Meinungen nachdenken und diese auch zulassen.

          Mir hätte so ein Offener Dialog ganz sicher schnell aus den psychotischen Gedanken geholfen. Ich war in meinem ganzen Leben nie so, dass das nicht mehr gegangen wäre.

          Du hast auch offenbar weder den Film angesehen noch den Wikipedia-Artikel zu Offener Dialog gelesen.

          Erfolg von Open Dialog kurzer Auszug aus dem Artikel, Wirksamkeit:

          Nur 29% der Open Dialog Patienten hatten einen oder mehrere Rückfälle, 82% hatten keine psychotischen Symptome mehr und der Beschäftigtenstatus (Studium, Arbeit, Aktive Jobsuche) lag bei 86%…

          #235233
          Anonym

            @ Pia meine Ansprechfähigkeit war auch immer gegeben, trotz verrückterster Erscheinungen !

            #235235
            Pia

              @Ludwig: Ich habe mich ja auch während ich in der Psychiatrie war, dort mit Mitpatienten unterhalten und die sich mit mir, auch zusammen Spazieren gegangen oder Kaffee trinken sind wir oder in die Stadt gefahren und haben uns unterhalten.

              Es gab da nur ganz, ganz wenige, die schlecht ansprechbar waren. Konkret erinnere ich mich da nur an einen einzigen Mann.

              #235244
              Anonym

                Bei meinem ersten Schub dauerte es ein ganzes Monat bis ich zu einem Psychiater kam. Bin trotz Psychose mit dem Auto gefahren, zur Arbeit gegangen etc.. Nicht einmal meine Familie merkte in dem Monat was in meinem Kopf alles abging ! Dann auf der Psychiatrie war ich in drei Tagen wieder klar im Kopf. Also mir hätte der “Offene Dialog” sicher geholfen, nur ich habe erst Jahre später nach dieser Zeit von meinem Therapeuten erfahren, dass ich schizophren bin !

                Also ich wäre in dem ersten psychotischen Monat gar nicht darauf gekommen wohin ich gehen sollte und was mit mir los ist !

                Schlimm war aber die Zeit nach meinem zweiwöchigen Aufenthalt auf der Psychiatrie. Ich bekam eine Anhedonie (von zu viel Neuroleptika oder durch eine Erschöpfungsdepression ?) und war 1,5 Jahre ein Zombie !

                #235534
                Anonym

                  Ich würde auch gerne mehr über diesen offenen Dialog erfahren und wie das gemacht wird.

                   

                  Die Medikamente sind auf Dauer echt zu heavy eigentlich und ich glaube jeder würde lieber keine nehmen wenn er trotzdem gesund bleiben könnte.

                  Bei mir war es ehrlich gesagt schon so schlimm, dass ich nichts mehr tun konnte und mein Reden war durch meine Psychosen bestimmt und es war kein normaler Alltag mehr möglich, nicht mal ansatzweise, ich schlief fast nicht mehr und ich konnte alleine überhaupt nichts mehr tun, außer irgendwo in der Natur herumirren.

                  Alles was hilft dass wir die Medikamente erst gar nicht einplanen müssen oder sie wieder loswerden ist total hilfreich, weil sie sind eigentlich schrecklich und ein Verbrechen fast schon.

                  Mich wundert es dass man auf solche Züge nicht weltweit aufspringt und ein menschenwürdigeres Leben überall bei solchen Krankheiten anstrebt, es kann nur am Geld liegen, mir fällt kein Grund ein warum man so ein System sonst aufrecht erhalten will.

                  #235537
                  Anonym

                    Sorry lieber Barth die Medikamente sind vieles aber sicherlich kein Verbrechen.

                    Ohne sie würde ich noch immer stimmen hören und.a.

                    Ich finde man kann doch das eine mit dem anderen verbinden und nicht gegeneinander setzen.

                    LgDoris

                    #235539
                    Anonym

                      Ja sicher, da hast du Recht, das eine muss ja das andere nicht ausschließen, ich bin nur unendlich unglücklich dass ich Medikamente nehmen muss, weil ich habe Nebenwirkungen nicht wenig und irgendwann müsste man doch wohl etwas finden um die Behandlung besser zu machen. Ich schlafe zum Beispiel schon mehr als zehn Jahre nicht mehr durch, ich habe eine gewisse Spätdyskenesie höchstwahrscheinlich, meine Hormonwerte müssen künstlich in Schach gehalten werden. Bitte keine Tipps für andere Medikamente geben, ich habe das zur Genüge probiert, ich komme mit anderen Medikamenten noch schlechter zurecht.

                       

                      Vielleicht sind die Medikamente an sich kein Verbrechen, aber dass man so wenig tut um eine alternative Behandlungsmethode zu erfinden halte ich für ein Verbrechen, viele die werden sich eben darauf ausruhen dass es eh Medikamente gibt und man braucht jetzt eh nichts mehr zu erfinden, aber das ist eben auch nur die Sicht aus den Forschern die es sich einfach machen wollen.

                      #235551
                      Anonym

                        Es liegt definitiv am Geld ! Vergleicht einmal die Kosten eines Psychiaters, welcher alle 2 Wochen an den Medikamenten dreht, oder eine 1 zu 1 Betreuung auf mehrere Wochen bzw. Monate mit eigener Station oder eigenem Team.

                        Die westliche Welt hat keine Zeit sprich Geld für eine Intensivbetreuung (siehe Altenversorgung mit Osteuropäerinnen), ist doch viel leichter man nimmt eine handvoll Tabletten und ist ruhig gestellt. Wer in unserer westl. Welt nicht konsumieren kann, hat seine Daseinsberechtigung verloren !

                        #235562
                        Anonym

                          Da so oft hier, auch von mir schon, gegen Medikamente geschimpft wurde ein Beitrag aus dem Körper Krankheit Bereich.

                          Meine Tante Inge war Nieren krank und bekam in letzter Sekunde eine Spende einer Niere.

                          Damit diese funktionierte musste sie starke Tabletten nehmen,  was sie tat. Es verlängert ihr Leben 15 Jahre mehr. Dann starb sie an den Folgen der Nebenwirkungen der Medikamente.

                          Sind die jetzt gut oder schlecht?

                          Sie hat sich gewünscht ihre Kinder aufwachsen zu sehen und das konnte sie.

                          Ende der Geschichte.

                          #235574
                          Anonym

                            Deine Tante hatte keine Alternative, wir hätten eine, wenn das Geld da wäre !?

                            #235575

                            Ich wiederhole mich! So lange Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen, ist die Sparsamkeit in dem Bereich groß angelegt!

                            Und ich wiederhole mich auch damit wieder! Wenn es einem schlechter geht, schickt ein Psychotherapeut einen Patienten zum Psychiater. Deswegen bringt reden an sich nur etwas, wenn der Patient “gefestigt” ist! Medis sind halt die Basis von allem! Nur meine Meinung!

                            #235578
                            Anonym

                              @Ludwig wenn du so denkst würde das genau für meine Tante auch gelten.

                              Wir hier im Forum habe diese gemeinsame Erkrankung in vielen verschiedenen Formen.

                              Aber ich wollte auch ein bisschen daran erinnern wieviel andere Menschen mit ganz anderen Erkrankungen ums Leben kämpfen bzw einen guten Verlauf.

                               

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