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Mowa.
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26/12/2020 at 9:12 #138094
Danke schön liebe @Bernadette. Es freut mich, dass Dir mein Beitrag gefallen hat. Dass ich nicht mehr über mich geschrieben habe, liegt daran, dass ich nur 7000 Zeichen zur Verfügung habe. Ich bin bei meiner jetzigen Version schon drüber… Daher muss ich Prioritäten setzen, was ich in dem relativ kurzen Beitrag schreiben will.
ch freue mich auf jeden Fall das deine Arbeit – splatz dir diese Möglichkeit gibt und du sie so aktiv ergreifst.
Das stimmt, wobei das für mich andersherum gelaufen ist, dass ich mir die Möglichkeit erkämpft habe und sie mir auch gestattet wurde
So, jetzt habe ich die Küche sauber gemacht, und gleich kann ich loslegen mit dem Brotbacken.
26/12/2020 at 14:07 #138120Danke schön @Dopplereffekt :bye: .
26/12/2020 at 14:14 #138122Apropos kann es sein, dass ich 1, 2 Bilder vorschlagen kann, die zusammen mit meinem Beitrag erscheinen würden. Ich werde dann diese beiden Bilder vorschlagen:
Aufgenommen im Oktober 2010, während meines Aufenthaltes am Zentrum für Psychiatrie in Emmendingen.
Gezeichnet am 13.11.2011, etwa ein Jahr nach meiner ersten Psychose.Die Bilder in den früheren Ausgaben des Beiheftes, die sich die Redaktion selbst ausgesucht hatte, haben mir irgendwie gar nicht gefallen
29/12/2020 at 5:41 #139159Guten Morgen zusammen,
Hat Prof. Rüsch denn gesagt, wie oder wo man das Recht auf Arbeit durchsetzen kann?
Hallo Dopplereffekt, ich kann Dir das Buch von Prof. Rüsch nur empfehlen:
Nicolas Rüsch, Das Stigma psychischer Erkrankung:
Strategien gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, Urban & Fischer/Elsevier, München, 1. Aufl.
2021, 332 Seiten.Im Kapitel 7.5.2 über die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) schreibt er auszugsweise Folgendes:
(…)
Grundlegend für die UN-BRK sind der Begriff der Würde, das Prinzip der Nichtdiskriminierung und das Prinzip der Selbstbestimmung. All dies steht Menschen mit Behinderung als unveräußerliches Recht zu. Wenn Betroffene aufgrund ihrer Behinderung ihre Rechte nicht wahrnehmen können, sollen ihre Rechte nicht durch einen Vertreter ausgeübt werden, sondern sie sollen bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden (Art. 12 Abs. 3).
(…)
Die Implikationen der UN-BRK für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind vielfältig. Neben den erwähnten Grundlagen finden sich spezifische Regelungen. Artikel 25 formuliert das Recht auf das „erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung“. Das schließt Rehabilitation (s. auch Art. 26), Frühintervention und gemeindenahe Versorgung ein (zu existierenden Defiziten in diesen Bereichen › Kap. 7.3.1 und › Kap. 7.3.3). Artikel 27 behandelt das „gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit“, incl. „Unterstützung bei der Arbeitsuche, beim Erhalt und der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes“ (Art. 27 [e]). Das liest sich wie eine Kurzbeschreibung Unterstützter Beschäftigung (Supported Employment); diese psychosoziale Intervention ist im deutschsprachigen Raum allerdings bisher kaum umgesetzt (› Kap. 7.1.2). Alles in allem hat die UN-BRK großes Potenzial, die Lage besonders von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen zu verbessern. Doch die Umsetzung ist auch in westlichen Ländern unvollständig. Es ist zu hoffen, dass bestehende Defizite, die Menschen mit psychischen Erkrankungen betreffen, nach und nach behoben werden.
(…)
Artikel 33 verpflichtet die Vertragsstaaten, die Umsetzung und Einhaltung der UN-BRK zu überprüfen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind in die Erstellung dieser Berichte einzubeziehen (Art. 4 Abs. 3). Zu diesem Zweck gibt es in Deutschland eine Monitoring-Stelle am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin (institut-fuer-menschenrechte.de). Das Institut erarbeitet regelmäßig Berichte, die auch den Vereinten Nationen vorgelegt werden. Auf Basis dieser und weiterer Berichte veröffentlichte die WHO 2018 eine Übersicht der Lage von Menschen mit geistigen oder psychischen Behinderungen in Europa, die in Institutionen leben (u. a. in Wohn- oder Pflegeheimen [676]). Diese Gruppe ist aufgrund der Schwere der Behinderung und der oft entlegenen Lage der Einrichtungen besonders von Einschränkungen ihrer Rechte bedroht. Untersucht wurde daher die Einhaltung von Menschenrechten, wie sie in der UN-BRK festgelegt sind, in Einrichtungen aus 31 europäischen Ländern. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus. In vielen Fällen wurden Grundrechte wie Rechts- und Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung, Würde, Freiheit, Sicherheit, Schutz vor Misshandlung und Gewalt verletzt. Sexueller Missbrauch wurde berichtet. Sehr oft fehlten Angebote für sinnvolle Beschäftigung und Aktivitäten. Es gab selten Beschwerdemöglichkeiten. Meist fehlte jeder Plan zur Verbesserung von Recovery und sozialer Teilhabe, ebenso zu Wohnmöglichkeiten außerhalb der Einrichtung: Die Mehrzahl der Bewohner würde die Institution gerne verlassen, doch kann nirgendwo hin [676].
Für mich persönlich bedeutete es, dass ich bei meiner Arbeit geistig mehr “Bodenhaftung” bekomme und mich gegen mein eigenes Gefühl wehren kann, auf der Arbeit “nur geduldet” zu werden.
Wünsche allen einen schönen Tag
LG,
Mowa29/12/2020 at 5:57 #139163Guten Morgen und danke schön liebe @Hana
29/12/2020 at 16:39 #139219Danke schön @Dopplereffekt und @Blumenduft für Eure Posts
01/01/2021 at 5:08 #139558Jedenfalls will ich versuchen, die kommenden Tage den Beitrag zu überarbeiten. Die Punkte, die J. erwähnt hat, waren u.a.:
- der Fluss vom Zweitstudium > NGO > mein Arbeitsplatz bei meinem Chef ist nicht klar. Wie kam es dazu, dass ich zu unserer Froschungsorganisation gelangt bin?
- wie schlimm medikamentöse Nebenwirkungen sein können, kommt nicht gut rüber. Bis ich auf meinen jetzigen Psychiater traf, hat mir kein Psychiater von der Leitlinie erzählt und Reduktion oder Absetzen wurde nie thematisiert. Erst als ich auf meine eigene Initiative hin versucht habe abzusetzen, habe ich gemerkt, dass meine Antriebslosigkeit, Affektverflachung, Adipositas usw. medikamentös bedingt waren.
- wenn ich über Inklusion schreibe, dann sollte ich auch über Prävention schreiben, und über die Verantwortung des Arbeitgebers um die Führungskultur und Arbeitsbedingungen zu verbessern.
- wenn ich über meine Leistungseinschränkungen schreibe, dann sollten Vorurteile wie: “Sie wird zwar für 8 Stunden bezahlt kann aber doch nur 4 Stunden arbeiten” nicht bestätigt werden. Das ist auch eine Form der Selbststigmatisierung
Mal schauen, wie gut ich das hinbekomme. Dann hat sie gemeint, dass sie das zweite Bild mit den Spiralen berührt, und ihr auch mein Sonnenbild auch sehr gut gefällt:
Das Bild ist am 03.03.2018 entstanden, während meines ersten Rückfalls. Mir gefällt es auch sehr gut, nur war ich mir nicht sicher, ob es bei den Beobachtern einen krankhaften Eindruck macht.
Erstmal überarbeite ich den Text und dann mal schauen, welche Bilder ich vorschlage. Ich habe noch andere Bilder, z.B. mein aktuelles Profilbild vom 11.04.2019. Das war 2 Wochen vor meiner Einweisung beim 2. Rückfall.
Gestern haben wir auch die Corona-Sonderzahlung, die ich als Mitarbeiterin im (angelehnt) öffentlichen Dienst bekommen habe, 100% an das UNICEF gespendet. Im März hatten wir bei der Aktion Deutschland Hilft e.V. gespendet. Unser Haushalt war ja weder von Kurzarbeit noch von Mehrarbeit betroffen, und ich hatte eher weniger Arbeit als sonst, musste meine Gesundheit nicht riskieren, musste keine Kündigung fürchten usw. Daher finden wir es gut, dass wir dieses Jahr wesentlich mehr gespendet haben als in den Jahren zuvor. Jedenfalls ist das für uns eine gute Anlage bzw. Investition
Abends haben wir lecker Raclette gegessen. Dann habe ich mich hingelegt, bis kurz vor Mitternacht, und haben ein Gläschen Sekt getrunken und Wunderkerzen angezündet…
Gleich möchte ich noch mit meiner Mutter skypen. Ich hatte meinen Beitrag auch ins Japanische übersetzt und ihr geschrieben “Ich möchte, dass Du mich fragst, wenn Du etwas nicht verstehst. Aber Hinweise auf Fehler brauchst Du mir nicht geben”. Ja, und wie komme ich dazu ihr das zu schreiben? Ich hatte meine Gesprächsnotizen mit Herrn Rüsch auch ins Japanische übersetzt, mit viel Mühe, und sie meiner Mutter gezeigt. Und anstatt dass sie mir etwas zum Inhalt sagt, hat sie an 3 Stellen meine Übersetzung bemängelt, dass man es so im Japanischen nicht sagt. Das war enttäuschen für mich
Jedenfalls wünsche ich allen einen guten Start ins neue Jahr
LG,
Mowa03/01/2021 at 4:42 #139769Guten Morgen zusammen,
Wollte nur anmerken, dass das Forum leserfreundlich ist/wird, wenn Form und Inhalt ausgewogen sind.
Das stimmt, und ich kann mir auch gut vorstellen, dass der Stil nicht jedem Forenuser gefällt.
Ich hatte schon geschrieben, dass du da vorsichtig sein solltest. Daher finde ich es gut, dass du den Kritikpunkt jetzt aufnimmst.
Ja, und es ist gar nicht so einfach, den Beitrag so formulieren, dass Missverständnisse ausgeräumt sind. Ich werde schon noch schreiben, dass ich trotz der beiden Rückfälle unterstützt wurde, einfach weil es ein Fakt ist. Nur wenn ich über meine Leistungseinschränkungen schreibe, dann sollte ich klarstellen, dass ich mich mit mir selbst vergleiche und nicht mit meinen Kollegen.
Das Sonnenbild finde ich eindrucksvoll und irgendwie auch krass.
Also so ähnlich, wie Leute mit Nahtoderfahrungen erzählen.
für mich ist es wie für Molly auch ein Tunnel
Danke @Dopplereffekt, @Molly und @Hannah! Ich finde es super, wenn Beobachter etwas Eigenes im Bild sehen. Deswegen frage ich mich, ob ich überhaupt etwas dazu schreiben sollte, was es darstellen soll.
Was mir aufgefallen ist, ich hatte mir zwei Bilder ausgesucht, die entstanden waren, als ich nicht mehr akut war und mit relativ hoher Dosis von Neuroleptika behandelt wurde. Und für mich sind diese NL-Wirkung in diesen Bildern sichtbar. Das merke ich genauso, wenn ich meine früheren Beiträge im KNS-Forum lese.
Im Vergleich zeigen das Sonnenbild und das Baumbild einen Teil von mir, der nach Außen hin normalerweise verborgen bleibt, mit Medis dann sowieso. Und bei diesen Bildern dachte ich auch, als müsste ich sie mehr erklären und rechtfertigen, was sie sollen.
Vielleicht ist das auch eine Art der Selbststigmatisierung
Wünsche allen einen entspannten Sonntag
LG,
Mowa04/01/2021 at 4:47 #139882Guten Morgen zusammen,
danke schön @Ladybird, @Molly, @Dopplereffekt und @Blumenduft.
könnten das Kollegen auf gleicher Stufe komisch auffassen.
Es ist mir schon klar, dass ich generell auf die Wortwahl achten sollte. Es ist ja so, dass eine wissenschaftliche Tätigkeit höher bezahlt wird als eine technische. Daher ist es nichts Kontroverses, wenn ich darüber schreibe. Meinen Job und meine sozialen Kontakte gefährden werde ich nicht, glaube ich, da mache ich mir keine Sorgen
Am Samstag haben wir uns Paprika angeschaut, war ziemlich bizarr und stimulierend. Diese Anime soll die Vorlage für Inception gewesen sein, den ich auch nicht kenne.
Gestern haben wir die erste Hälfte von “The Life of Oharu” (1952) von Kenji Mizoguchi angesehen. Das erste Mal habe ich den Film in einem Londoner Kino gesehen, so vor 15 Jahren, habe mir dann die DVD gekauft und sie irgendwann meiner Schwester geschenkt. Jetzt habe ich entdeckt, dass der Film online verfügbar ist
Gleich skype ich zusammen mit meiner Mutter und meinem Bruder. Meine Schwester hat sich aus der Skype-Gruppe ausgeklinkt. Es gab wohl einen Streit mit Mutter, und als ich versucht habe zu vermitteln, wollte sie sich auch von mir abgrenzen. Es ist nicht immer einfach!
Die erste Arbeitswoche in 2021 fängt für mich etwas erschöpft an. Letzte Woche war ja ein Streit zu Hause, dann der Konflikt in meiner Familie, dann zusätzlich auch meine Blutung. Ich bewege mich auch viel zu wenig, ich will bald wieder meine Gewichtsübungen machen!
Im Laufe der Woche muss ich das Protokoll der letzten Betriebsratssitzung fertig tippen und abgeben. Ansonsten arbeite ich weiter an meinem Beitrag. Eigentlich habe ich schon 3 Tage oder so Überstunden gesammelt, weil ich während der Weihnachtspause auch an diesem Beitrag gearbeitet habe. Daher werde ich auch nicht so streng auf die täglichen 8 Stunden Arbeitszeit achten.
Wünsche allen einen guten Wochenstart
LG,
Mowa04/01/2021 at 7:23 #139894Viel Spaß @Molly, falls Du die Muße findest Dir den Film anzuschauen. Die Aufnahmen finde ich sehr schön. Leider gibt es noch keine deutschen Untertitel…
So, vorhin habe ich eine Kurzversion von meinen Gewichtsübungen durchgeführt und bin wie aufgeladen
04/01/2021 at 20:35 #139997Version: 04.01.2021 19:45 Uhr
Inklusion und Stigma am Arbeitsplatz
– Perspektive einer Psychoseerfahrenen –
MowaNiemand ist frei von psychischen Belastungen. Je nach Intensität und Dauer können sie jeden Menschen krank machen – auch am Arbeitsplatz. Um so wichtiger ist eine Führungskultur, die sich positiv und offen der Prävention von psychischen Erkrankungen und der Inklusion von Betroffenen annimmt. Dass dies nur unzureichend passiert und das Stigma scheinbar vorherrscht, zeigt sich auch am Beispiel des Mental Health Collective (MHC), das von Mitarbeitenden selbst initiiert wurde und ehrenamtlich geblieben ist (1).
Im Oktober 2020 hat das MHC die *** mit großem Erfolg veranstaltet, mit mehr als 1100 Teilnahmen an diversen Vorträgen und Seminaren zum Thema psychische Gesundheit. Zweiwöchentlich findet auch die *** statt, die einen offenen Austausch im geschützten Raum auch über psychisch belastende Erfahrungen ermöglicht. Trotz der deutlichen Nachfrage ringt das MHC bis heute um finanzielle und personelle Unterstützung. Eine aktive Mitwirkung der Leitungs- und Führungsebene der *** scheint hier längst überfällig.
Im Folgenden möchte ich mich als Mitarbeiterin der *** und als Betroffene mit einer psychischen Erkrankung zu erkennen geben. Ich hoffe, sowohl Betroffene als auch Nichtbetroffene dazu einladen zu können, eigene Haltungen zu überdenken und selbst zum Abbau von Stigma beizutragen.
Als ich im November 2010 aus meinem ersten Psychiatrieaufenthalt entlassen wurde, kam ich mir wie eine Außerirdische vor. Alles um mich herum war grell, rau und fremd. Ich konnte nicht fassen, was mit mir passiert war. „Paranoide Schizophrenie, Erstmanifestation“ – was bedeutete das? Mitten in der geschäftigen Altstadt von Freiburg im Breisgau, wo ich das Jahr zuvor als Medizinstudentin im Zweitstudium verbrachte, nahm meine kleine Schwester meine Hand und half mir über die Straße.
„Was sind Ihre Visionen für die nächsten 10 Jahre?“, wurde ich einige Monate später gefragt, im Bewerbungsgespräch bei einer NGO, die sich mit Ökologie und Nachhaltigkeit befasste. In diesem Augenblick wusste ich nur, dass ich im letzten Sommer einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, der Psychose hieß; dass ich ein Medikament einnahm, das Neuroleptikum hieß; dass es mir etwas besser ging und ich nicht mehr nur bettlägerig war; dass mein Kopf sich wie eingegipst anfühlte und meine Gedanken und Gefühle wie verschüttet waren; dass ich Adipositas bekam. Sprachlos und verlegen, verabschiedete ich mich.
Aufgenommen im Oktober 2010Seit diesem Tag kam es schon mal vor, dass ich mir ausmalte, was ich alles noch ohne meine Erkrankung und als Nachwuchswissenschaftlerin hätte erleben können. Und doch habe ich so viel in Fülle erlebt und gelernt, was es bedeuten kann, ein Mensch zu sein. Daher denke ich nicht, etwas verpasst zu haben oder zukünftig zu verpassen. Hätte ich dies vor 10 Jahren beim besagten Bewerbungsgespräch geahnt, hätte ich bestimmt geantwortet: „Mein großer Traum ist, dass immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen ein so hohes Maß an Inklusion erfahren wie ich selbst“. Mit Inklusion meine ich vor allem meine Arbeit für die Abteilung von Prof. ***, zuerst am *** in *** und dann am *** in ***.
Erst durch die Sicherheit, die mir meine Arbeit gab, konnte ich meinen Genesungsprozess einleiten und diesen aufrechterhalten: Finanziell kann ich für mich selbst sorgen; bin von Menschen umgeben, die mich und meine Arbeit wertschätzen; habe eine Tagesstruktur. Darüber hinaus wurden mir Freiheiten gewährt, und ich konnte meine Arbeit inhaltlich weitgehend selbst gestalten, sei es im IT-Support, in Forschungsprojekten, oder inzwischen auch im Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat. Meine beiden Rückfälle im Frühjahr 2018 und 2019, bei denen ich mit akuten Symptomen wie Hypomanie und Wahn teilweise auch auf der Arbeit war, haben nicht dazu geführt, dass ich ausgegrenzt oder gekündigt wurde. Im Gegenteil, ich habe weiterhin Geduld und Unterstützungen erfahren.
Dass es Stigma, Vorurteile und diskriminierendes Verhalten gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt, schließen meine persönlichen Erfahrungen natürlich nicht aus. So geht es mir beispielsweise auch mit Rassismus. Nur weil ich selbst keine offenen Anfeindungen und Diskriminierungen aufgrund meiner Herkunft und der sonstigen Merkmale erlebt habe, bedeutet es nicht, dass es das nicht gibt. Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen leben mit schweren Krankheitsverläufen und medikamentösen Nebenwirkungen, haben Schicksalsschläge und existenzielle Krisen durchstanden. Und viele Menschen sehnen sich nach mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, auch an der Arbeitswelt, und doch fristen viele Menschen ein Schattendasein am Rande unserer Gesellschaft.
„Haben Sie schon mal von der UN-Behindertenrechtskonvention gehört? Menschen mit psychischen Erkrankungen haben ein Recht auf Arbeit. Es geht nicht um Mitleid oder Almosen, wenn sie arbeiten wollen“. Das waren die einprägsamen Worte von Prof. Nicolas Rüsch, Psychiater und Stigmaforscher an der Universität in Ulm, die mich ins Staunen versetzten (2). Dieses Selbstbewusstsein und Selbstverständnis wünsche ich mir zuerst für mich selbst, sind doch meine Leistungen erheblich eingeschränkt, im Vergleich zu früher, als ich noch nicht erkrankt war? Wie passt das zusammen mit dem Vorzeigebild der ***, mit ihrer Spitzenleistung und Exzellenzforschung?
Öl auf Karton, 03.03.2018Bis ich selbst erkrankte, hatte ich keine Berührungen mit psychischen Erkrankungen. Mir fehlte das Wissen völlig, wie sehr psychische Erkrankungen gesellschaftlich stigmatisiert werden. Vor einigen Jahren bezeichnete ich mich einmal selbst als „Psycho“ und meinte es wertfrei, und doch wurde ich von einer langjährigen Freundin, die nicht von psychischen Erkrankungen betroffen ist, sofort korrigiert: „Sage bitte so etwas nicht über dich!“. Erst später habe ich verstanden, warum meine Freundin so schockiert war und dass die Bezeichnung „Psycho“ Stereotype von Menschen mit psychischen Erkrankungen implizierte, wie etwa: schwach; faul; gewalttätig; unberechenbar – und einfach nicht normal!
Was normal sein sollte, fiel mir schon immer schwer zu begreifen. Die Frage nach der eigenen Identität: „Was und wie bin ich und warum?“ beschäftigt sicher jeden Menschen. Mal mehr, mal weniger. Ich sehe mich selbst als das normalste Individuum meiner Welt und kann es mir kaum vorstellen, dass meine Mitmenschen über sich selbst anders denken könnten.
In der *** treffen Menschen mit verschiedensten Lebenserfahrungen, Überzeugungen und Fähigkeiten zusammen und arbeiten gemeinsam im Dienste der Wissenschaft, für die Allgemeinheit. Jeder Mensch ist ein einzigartiges Individuum, und wir alle können voneinander lernen, uns gegenseitig bereichern und einander respektieren. Genau darin besteht für mich die Exzellenz. Ich bin stolz, Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Referenzen:
(1) ***
(2) Persönliche Kommunikation. Siehe auch: Nicolas Rüsch, Das Stigma psychischer Erkrankung: Strategien gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, Urban & Fischer/Elsevier, München, 1. Aufl. 2021, 332 Seiten.06/01/2021 at 6:29 #140113Guten Morgen zusammen,
danke schön @Bernadette und @Dopplereffekt.
nun hast du deinen Beitrag fertig gestellt oder?
An den grundsätzlichen Aussagen wird sich nicht mehr viel ändern, denke ich. Ich versuche weiterhin, Akzente besser zu setzen und Missverständnisse zu reduzieren. Meine Kollegin J. hat sich gestern wieder viel Zeit für mich genommen, und wir hatten ein gutes Gespräch
Ist es so gemeint?
Die Klinik hat einen schönen großen Garten, und dort habe ich bei einem Spaziergang die Eichel und den Kieferzapfen eingesammelt und daran gedacht, dieses Foto zu machen.
Ich glaube, dass ich mit diesem Bild meine kindlich-naive Verwunderung über meine Situation ausdrücken wollte, gleichzeitig mir auch einreden wollte, dass meine Situation eine spielerisch-harmlose ist.
So, jetzt kommt wieder eine überarbeitete Version. Wenn die sprachlichen Fehler beseitigt sind, werde ich den Entwurf an meinen Chef weiterleiten, vielleicht auch an Herrn Rüsch nochmal
LG,
Mowa06/01/2021 at 6:30 #140114Entwurf meines Beitrages für *** Ausgabe 03/21
Version: 06.01.2021 06:05 Uhr
7757 Zeichen mit LeerzeichenInklusion, Stigma und Arbeitsplatz
Perspektive einer Psychoseerfahrenen
MowaNiemand ist frei von psychischen Belastungen. Je nach Intensität und Dauer können sie jeden Menschen krank machen – auch am Arbeitsplatz. Um so wichtiger ist eine positive und offene Führungskultur, die sich der Prävention von psychischen Erkrankungen und der Inklusion von Betroffenen annimmt. Dieser wichtigen Fürsorgepflicht der *** sind mit der Gründung des Mental Health Collective (MHC) vier junge wissenschaftlichen Mitarbeitenden zuvorgekommen: ***.
Im Oktober 2020 hat das MHC die *** mit großem Erfolg veranstaltet, mit mehr als 1100 Teilnahmen an diversen Vorträgen und Seminaren zum Thema psychische Gesundheit (1). Zweiwöchentlich findet auch die *** statt, die einen offenen Austausch im geschützten Raum auch über psychisch belastende Erfahrungen ermöglicht. Trotz der großen Nachfrage bei den Mitarbeitenden ringt das MHC bis heute um finanzielle und personelle Unterstützung. Eine aktive Mitwirkung der Leitungs- und Führungsebene der *** an dieser bislang ehrenamtlichen Initiative mit ihren vielfältigen Ideen für zukünftige Projekte wäre sehr zu wünschen.
Im Folgenden möchte ich mich als Mitarbeiterin der *** und als Betroffene mit einer psychischen Erkrankung zu erkennen geben. Ich hoffe, mit diesem persönlichen Erfahrungsbericht sowohl Betroffene als auch Nichtbetroffene dazu einladen zu können, eigene Haltungen zu überdenken und selbst zum Abbau von Stigma beizutragen.
Als ich im Herbst 2010 aus meinem ersten Psychiatrieaufenthalt entlassen wurde, kam ich mir wie eine Außerirdische vor. Alles um mich herum war grell, rau und fremd. Ich konnte nicht fassen, was mit mir passiert war. Paranoide Schizophrenie, Erstmanifestation – was bedeutete das? Mitten in der geschäftigen Altstadt von Freiburg im Breisgau, wo ich das Jahr zuvor als Medizinstudentin im Zweitstudium verbrachte, nahm meine kleine Schwester beschützend meine Hand und half mir über die Straße.
„Was sind Ihre Visionen für die nächsten 10 Jahre?“, wurde ich einige Monate später gefragt, im Bewerbungsgespräch bei einer NGO, die sich mit Ökologie und Nachhaltigkeit befasste. In diesem Augenblick wusste ich nur, dass ich im letzten Sommer einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, der Psychose hieß, und ich ein Neuroleptikum einnahm. Es ging mir etwas besser, und ich war nicht mehr nur bettlägerig. Ich bekam aber auch Nebenwirkungen der Medikamente zu spüren, was sich darin ausdrückte, dass sich mein Kopf wie eingegipst anfühlte, meine Gedanken und Gefühle wie verschüttet waren und ich adipös wurde. Sprachlos und verlegen, verabschiedete ich mich.
Aufgenommen im Oktober 2010Seit diesem Tag kam es schon mal vor, dass ich mir ausmalte, was ich alles noch ohne meine Erkrankung und als Nachwuchswissenschaftlerin in der Spitzenforschung hätte erleben können. Und doch habe ich so viel in Fülle erlebt und gelernt, was es bedeuten kann, ein Mensch zu sein. Daher denke ich nicht, etwas verpasst zu haben oder zukünftig zu verpassen. Hätte ich dies vor 10 Jahren beim besagten Bewerbungsgespräch geahnt, hätte ich bestimmt geantwortet: „Mein großer Traum ist, dass immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen ein so hohes Maß an Inklusion erfahren wie ich selbst“. Mit Inklusion meine ich vor allem die Integration und die Förderung, die ich von Prof. *** und den Mitarbeitenden seiner Abteilung erfahren habe, zuerst am *** und dann am ***.
Erst durch das Vertrauen und die Sicherheit, die mir am Arbeitsplatz geschenkt wurden, konnte ich meinen Genesungsprozess einleiten und diesen aufrechterhalten: Finanziell kann ich für mich selbst sorgen. Ich bin von Menschen umgeben, die mich und meine Arbeit wertschätzen. Ich habe eine Tagesstruktur. Darüber hinaus wurden mir Freiheiten gewährt, um meine Fähigkeiten und Interessen gezielt einzusetzen, sei es im IT-Support, in Forschungsprojekten, oder inzwischen auch im Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat. Meine beiden Rückfälle im Frühjahr 2018 und 2019, bei denen ich mit akuten Symptomen teilweise auch auf der Arbeit war, haben nicht dazu geführt, dass ich ausgegrenzt wurde. Im Gegenteil, ich habe weiterhin Geduld und Unterstützung erfahren.
Dass es Stigma, Vorurteile und diskriminierendes Verhalten gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt, schließen meine persönlichen Erfahrungen natürlich nicht aus. So geht es mir beispielsweise auch mit Rassismus. Nur weil ich selbst keine offenen Anfeindungen und Diskriminierungen aufgrund meiner Herkunft und der sonstigen Merkmale erlebt habe, bedeutet es nicht, dass es das nicht gibt. Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen leben mit schweren Krankheitsverläufen und medikamentösen Nebenwirkungen, haben Schicksalsschläge und existenzielle Krisen durchstanden. Und viele Menschen sehnen sich nach mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, auch an der Arbeitswelt, und doch fristen viele Menschen ein Schattendasein am Rande unserer Gesellschaft.
„Haben Sie schon mal von der UN-Behindertenrechtskonvention gehört? Menschen mit psychischen Erkrankungen haben ein Recht auf Arbeit. Es geht nicht um Mitleid oder Almosen, wenn sie arbeiten wollen“. Das waren die einprägsamen Worte von Prof. Nicolas Rüsch, Psychiater und Stigmaforscher an der Universität in Ulm, die mich ins Staunen versetzten (2). Dieses Selbstbewusstsein und Selbstverständnis wünsche ich mir zuerst für mich selbst, sind doch meine wissenschaftlichen Leistungen erheblich eingeschränkt, im Vergleich zu früher, vor meiner Erkrankung? Wie passt das zusammen mit dem Vorzeigebild der ***, mit ihrer Exzellenzforschung?
Öl auf Karton, 03.03.2018Bis ich selbst erkrankte, hatte ich keine Berührungen mit psychischen Erkrankungen. Mir fehlte das Wissen völlig, wie sehr psychische Erkrankungen gesellschaftlich stigmatisiert werden. Vor einigen Jahren bezeichnete ich mich einmal selbst als Psycho und meinte es wertfrei, und doch wurde ich von einer langjährigen Freundin, die nicht von psychischen Erkrankungen betroffen ist, sofort korrigiert: „Sage bitte so etwas nicht über dich!“. Erst später habe ich verstanden, warum meine Freundin so schockiert war und dass die Bezeichnung Psycho Stereotype von Menschen mit psychischen Erkrankungen implizierte, wie etwa: schwach; faul; gewalttätig; unberechenbar – und einfach nicht normal!
Was normal sein sollte, fiel mir schon immer schwer zu begreifen. Die Frage nach der eigenen Identität: „Was und wie bin ich und warum?“ beschäftigt sicher jeden Menschen. Mal mehr, mal weniger. Ich sehe mich selbst als das normalste Individuum meiner Welt und kann es mir kaum vorstellen, dass meine Mitmenschen über sich selbst anders denken könnten.
In der *** treffen Menschen mit verschiedensten Lebenserfahrungen, Überzeugungen und Fähigkeiten zusammen und arbeiten gemeinsam im Dienste der Wissenschaft, für die Allgemeinheit. Jeder Mensch ist ein einzigartiges Individuum, und wir alle können voneinander lernen, uns gegenseitig bereichern und einander respektieren. Genau darin besteht für mich die Exzellenz. Ich bin stolz, Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Referenzen:
(1) ***
(2) Persönliche Kommunikation. Siehe auch: Nicolas Rüsch, Das Stigma psychischer Erkrankung: Strategien gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, Urban & Fischer/Elsevier, München, 1. Aufl. 2021, 332 Seiten.
06/01/2021 at 6:55 #140116Dieser Satz gefällt mir :good: .
Danke übrigens @Dopplereffekt, dass Du so aufmerksam bist. Dieser Satz bedeutet mir auch sehr viel!
DAS ist auch der Grund, warum für mich Mitleid Fehl am Platz ist. Ich bin doch kein “besonderer” Mensch. Die Ehe zwischen meinem Mann und mir ist auch keine “besondere” Ehe zwischen “besonderen” Menschen
06/01/2021 at 7:53 #140120Guten Morgen Yuri,
danke für Deine Frage. Zur Oberschicht zähle ich mich nicht, aber es ist sicher so, dass ich immer sehr privilegiert war und als eine Folge davon es heute noch bin.
Wie willst Du angesichts Deiner privilegierten Situation die Authentizität hinkriegen, frage ich mich?
Es ist ja eine persönliche Geschichte, die ich aus meiner persönlichen Perspektive erzähle. Insofern ist sie für mich wahr und authentisch. Ich erhebe auch keinen Anspruch darauf, dass meine persönlichen Erfahrungen repräsentativ o.ä. wären für andere Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ich hoffe, dass das im Text klar wird, und wenn nicht, sollte ich das unbedingt noch ändern.
Als ich meinem Mann das erste Mal von der Möglichkeit erzählt habe, dass ich diesen Beitrag veröffentlichen kann, war er ambivalent. Das hatte ich im Telefongespräch mit Herrn Rüsch auch so geäußert:
Prof. Rüsch: Was sagt Ihr Mann dazu?
Mowa: Einerseits „Das bringt nichts“ und andererseits „Das ist super“. Mein Mann hatte bereits mit 17 Jahren ([sic] muss wohl 18 Jahren heißen) seine erste Psychose, und konnte nie richtig in die Gesellschaft integriert werden. Daher hat er nochmal eine ganz andere Perspektive zum Thema als ich, die gute Erfahrungen gemacht hat.
Prof. Rüsch: Leichter hatten Sie es vielleicht nicht, aber Sie konnten Ihre Ausbildung vor der Erkrankung abschließen.
Mowa: Ja, und ich hatte es auf jeden Fall leichter als meinen Mann, denke ich.Und die Ambivalenz teile ich auch. Es ist wirklich super, dass ich mich als Betroffene in dieser Form zu Wort melden kann. Vor wenigen Jahren wäre das vielleicht nicht mal möglich gewesen. Gleichzeitig ist mir auch klar, dass dieser Beitrag alleine gar keinen Einfluss darauf haben wird, wie es z.B. den Berliner Kumpels von meinem Mann geht, die es wirklich sehr schwer hatten und heute noch haben.
Deinen Einwand Yuri verstehe ich also, und ich kann nur versuchen, diese Tatsachen nicht aus den Augen zu verlieren.
Edit: Danke Oceana für Dein Verständnis
LG,
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