Antipsychiatrie – Was soll das sein?

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  • #236050

    Hier ein Thread im Unterforum “Forschung” zum Thema „Antipsychiatrie“.

    Das Unterforum hat das Ziel, den Stand der Forschung und seine historische Entwicklung in den Mittelpunkt des Austauschs zu rücken.

    Lasst uns hier also versuchen, immer wieder Bezug zur Forschung zu nehmen und die dazugehörigen wissenschaftlichen Quellen anzugeben, wenn wir unsere Meinungen äußern.

    Gestern habe ich mir einige Informationen zum Thema zum ersten Mal angelesen, und vorhin, als ich die Wikipedia-Seite aufgeschlagen habe, war ich über den ersten Satz erstaunt:

    Antipsychiatrie ist generell „alles“, was dem Grundgedanken und den daraus entstehenden Handlungen der Psychiatrie kritisch bis ablehnend gegenübersteht.

    Da habe ich gedacht, dass die Welt für den Autor, der diesen Satz veröffentlicht hat, dann auch “generell schwarz oder weiß” sein müsste.

    Zum Glück wird der Hinweis ganz oben eingeblendet:

    Die Neutralität dieses Artikels oder Abschnitts ist umstritten. Eine Begründung steht auf der Diskussionsseite. Weitere Informationen erhältst du hier.

    Die Diskussion zum Wikipedia-Artikel habe ich nicht verfolgt.

    Was mir auch aufgefallen ist, es gibt relativ wenig Treffer zum Suchwort “Antipsychiatrie”, wenn ich für die Suche Web of Science (WoS) oder Google Scholar benutze:

    Suchwörter: “anti-psychiatry” oder “antipsychiatry”
    WoS: 291 Treffer
    Scholar: 30.000 Treffer

    Damit wir ein besseres Gefühl entwickeln, mit dem Suchwort “psychiatry” bekommen wir natürlich viel mehr Treffer:
    WoS: 1.179.552 Treffer
    Scholar: 3.550.000 Treffer

    D.h. das Suchwort “psychiatry” hat bei WoS ca. 4000-fach, bei Scholar 100-fach mehr Treffer als die Suchwörter “anti-psychiatry” und “antipsychiatry” zusammen.

    Die Webseite “Mad in America”, die kritisch ist und tatsächlich oder vermeintlich schlechte Praxen der Psychaitrie offen hinterfragt, hat eine Reihe Artikel zum Thema “anti-psychiatry”:
    https://www.madinamerica.com/?s=anti-psychiatry

    Diese Quelle werde ich u.a. auch nutzen, um Antworten zu den Fragen zu finden, die mich besonders interessierern, z.B.:

    • Wo sind die Ursprünge der Antipsychiatrie?
    • Wann und wie ist der Begriff „Antipsychiatrie“ entstanden?
    • Wie hat sich die Antipsychiatrie bis heute entwickelt?
    • Was bedeutet “Antipsychiatrie” heute?

    Antipsychiatrie ist ein gefährliches Thema

    Wenn wir uns mit solchen Fragen beschäftigen, dann werden wir bestimmt auch besser verstehen, warum das Thema gefährlich sein kann/soll ;-)

    #236148
    Anonym

      Antipsychiatrie ist eine berechtigte Bewegung aus den 1960ern, wo es noch recht schräg auf Psychiatrien zu ging. Seit einigen Jahrzehnten ist der Verein jedoch weit über das Ziel geschossen !

      Anbei ein deutscher Vertreter:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Lehmann_(Verleger)

      #236152
      Anonym

        Zu ihrer Frühzeit in den 1960er-Jahren war die Antipsychiatrie noch ein theorielastiges Unterfangen, das sich in einem vorwiegend akademischen Umfeld abspielte. Das sollte sich jedoch bald ändern: Beflügelt vom Geist der 1968er-Bewegung gründeten sich in den 1970er-Jahren zahlreiche Initiativen, die ihre Kritik am psychiatrischen Establishment in die Praxis umsetzen wollten.

        Nicht nur die Antipsychiatrie-Aktivisten empörten sich über die Zustände in den deutschen Anstalten. Auch aus dem Inneren der Kliniken ertönte der Ruf nach einer Reform immer lauter. Im Auftrag des Deutschen Bundestags erarbeiteten rund 200 Experten deswegen die sogenannte Psychiatrie-Enquête, einen Lagebericht über die Versorgung psychisch Kranker in Deutschland, der 1977 veröffentlicht wurde.

        Dennoch scheint die Energie der 1970er- und 80er-Jahre ein wenig verpufft zu sein. Viele der antipsychiatrischen Gruppierungen existieren zwar noch, sind aber weniger aktiv als früher. Liegt es daran, dass die heutige Psychiatrie längst nicht mehr so defizitär ist wie noch vor 30 Jahren?

        Einzelne Gruppen wie das Heidelberger SPK und die Berliner Irren-Offensive zogen sogar Holocaust-Vergleiche, um die Zustände in deutschen Psychiatrien zu kritisieren. etc, etc,

         

        https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-01/antipsychiatrie-psychiatrien-psychologie-patienten/seite-2

         

        #236154

        Da muss man wohl auch Szasz und Foucault miterwähnen, die so eine postmoderne Ideologie vertreten haben, dass es keine objektive Interpretation der Realität geben kann und daher das “System” Psychiatrie nur dem Machterhalt und dem Erhalt des Status Quo dient, also eigtl inhärent eine “Unterdrückungsstruktur” darstellen, die selbst definiert was “Normal” ist und was “weg gesperrt” gehört.

         

        Meine Meinung ist, dass wenn auch Teilweise in Ansätzen (Teil-)Wahrheiten darunter sind, dass man trotz allem etwas gewichten muss. Klar, eine Objektiv richtige Interpretation der Realität zu beanspruchen ist schwierig, aber man kann den jeweiligen Interpretationen in gewisser Weise “Funktionalitäten” zuordnen.

         

        Manche Interpretationen sind halt vollkommen dysfunktional. Andere funktionieren und haben dadurch auch eine gewisse Berechtigung.

        Aus katholischer Sicht gibt es die “Hierarchie der Wahrheiten”, also ein Konzept welches Abstufungen zwischen “Wahrheitsgraden” bestimmter sich möglicherweise auch gegenseitig ausschließender Ansichten/Anschauungen/Interpretationen beschreibt.

         

        Ich finde dieses Konzept zeigt auf wo der Trugschluss im Kern der Antipsychiatrie ist. Man kann sich ja auhc die Alternative überlegen: Keine Psychiatrie und statt dessen werden die Kranken auf sich allein gestellt alleine gelassen, bzw wenn sie in der Gesellschaft nicht zurecht kommen, möglicherweise sogar aus ihr ausgestoßen und/oder verjagt. Für besonders pathologische Fälle gäbe es dann auch keine Therapie sondern nur Gefängnis.

        Man muss sich dessen bewusst machen: die Psychiatrie soll helfen und den Menschen soweit es geht ein würdiges Leben in Gesellschaft ermöglichen.

        Klar gibt es auch Bestrebungen (sog. “Inklusion”) die fordern dass die Gesellschaft das Leben der Kranken in der Gesellschaft ermöglichen soll. Zu einem gewissen Grad ist das auch nachvollziehbar und vielleicht sogar zielführend, allerdings nicht konsequent bis ins letze extrem durchführbar.

         

        Ich denke mir da oft: bedingungslose Liebe (und Vergebung) korrumpiert letztendlich beide Seiten. Der der die Unterstützung leistet “blutet” irgendwann aus, denn der andere der die Unterstützung in Anspruch nimmt wird nicht inzentiviert sein Verhalten zu ändern und anzupassen und damit wird er immer weiter Unterstüztung, Nachsicht und Toleranz erfordern. Am Ende gehen also beide Kaputt. Der eine weil er nicht mehr kann, der andere weil er nie lernt sich zu bessern.

         

        Andererseits ist da auch wieder das Gegenteil die absolut kalte Gerechtigkeit: Auge für Auge, Zahn um Zahn. Gnadenlose Konsequenz. Auch wenn dieses System wahrscheinlich alle am besten dazu anhält, sich compliant und möglichst wenig störend zu verhalten (da es bei Nichtbefolgen Maximalen Schaden erwarten lässt), allerdings gibt es eben auch Leute die können es nicht gut, bzw es ist menschlich Fehler zu machen und damit würde man auch irgendwo den Mut und die Veränderungsbereitschaft sehr stark “einfrieren”. Aber klar so ein System ist auch sehr stabil und verlässlich. Man weiß woran man ist und alles ist klar.

         

        Letzlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Ein gewisses Maß an Fehlertoleranz, aber keine absolute Toleranz. Genauso wie ein gewisses Maß and Gerechtigkeit, Konsequenz und Durchsetzung von Regeln, Standards und Normen, ohne die eine echte Verständigung und Zusammenarbeit halt auch nicht möglich sind, aber ohne in Unmenschlichkeit zu verhärten.

        #236158
        Pia

          Obwohl im Ärzteblatt erschienen und das 2014, könnte der Artikel schon Teile deiner Fragen beantworten, liebe @Mowa.

          https://www.aerzteblatt.de/archiv/163493/Antipsychiatrie-Bewegung-Eine-Institution-steht-am-Pranger

          #236180

          hey Leute,

          frage mich, ob mit meiner Rätzelei, Grenzen schon verlassen oder als verloren zu akzeptieren sind.

          Jetzige “Wissenschaft”, oft erst durch die Gegnerschaft, die Anti-Bewegungen, umrissen, funktionieren als Erbschaft der “Metaphysik” ideologisch formuliert, gleichgeschaltet, ganz gleich, welchem Differenzierungsmechanismus ein Treue Schwur geleistet ist ;)

          Teilhabe an der Gesellschaft | SpringerLink

          Von Gudrun Wansing. Gelesene Autorin, wenn es um Inklusionsfragen sich dreht und diese systemtheoretisch, gelöst werden. Scheinbar sind Alle! inkludiert, die Wege sind, wie @Nichtraucher schreibt, überschaubar, der Rechtsweg steht “frei”.

          Für Nichts und Niemand.

          Wie @Mowa, meine Teufelei im Brandmarken der Quantitativen Methoden wahrnimmt, Ja.

          Die Tage über, Sperrmüll ist geplant, ich trage Zeitungen aus und bemühe mich um Nichts, selbst den nächsten Tag, lass ich offen und dass vor dem Hintergrund, dass ich seit dem Tod meines Vaters vor drei Jahren: Ach ja.

          Es bedarf der Grenze. Wer den Sprung riskiert, riskiert den Abgrund.

          Und bezogen auf den Thread zur Anti-Psychiatrie, grenzt die Logik des “Wahnsinns der Gesellschaft”, Vernunft von Unvernunft.

          Die Macht wird produktiv, sie ist im Diskurs Niemandem direkt zuzusprechen oder zuzuschreiben. Foucault, der Historiker war (die Bezeichnung trifft es am ehesten), bringt mit je für die Sache bedachtes Methodenarsenal, klar und deutlich, zu Werke, aber ist das Alles!? so klar und deutlich!?:

          Die Ordnung der Dinge. Buch von Michel Foucault (Suhrkamp Verlag)

          Wahnsinn und Gesellschaft. Buch von Michel Foucault (Suhrkamp Verlag)

          Froh wäre ich, wenn Vieles, das mittlerweile den Hauch von Ideologie mit sich hereinwehen lässt, wenn eigentlich gerade das Absolute, das panoptische Gefängnis, das jetzig durch eine systemische Vollinklusion und die akzeptierte Datenerhebung aller Regungen, die uns durchströmen, durch die Kritik, ihre Grenzen aufgezeigt bekommt, aber dem gleichen Mechanismus, paranoid verhaftet bleibt. Es bleibt bei den gegenseitigen, anti-dies-und-das. Durch den Umfang der Begriffe abgesteckte Wege, die jedwedem Übel und Glück bereits einen Platz im Diskurs, in der Ordnung, verordnet hat.

          Das ist der Ernst der Lage. Die Perversion am System. Die Gesellschaft, das System kann sich leisten, Geld zu spenden, um nicht mit “uns” am gleichen Tisch sitzen zu müssen.

          Wie lässt sich anders denken?

          Die Soziale Frage. Das Elend was gerade auf uns zu und nirgendwo hinführt, außer vielleicht in die Wüste, wo die Sündenböcke zur Mahnung an die Neuankömmlinge mit Pelzen handeln.

          […]es ist natürlich eine Qual, aber auch eine Chance: die Chance, angesprochen, gefordert zu werden, an das gebunden zu werden, was man nicht selbst ist, aber auch bewegt, zum Handeln, zu unseren eigenen, wieder anderen geltenden Anreden veranlasst zu werden und so das selbstgenügsame, als Besitz verstandene >Ich< hinter sich zu lassen. Wenn wir von hier aus, sprechen und Rechenschaft zu geben versuchen, werden wir nicht verantwortungslos sein, und wenn doch, so wird man uns bestimmt vergeben. [180]

          Judith Butler “Zur Kritik der ethischen Gewalt”

          • Diese Antwort wurde geändert vor 1 Jahr, 7 Monate von kadaj.
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          #236192

          wieso hält ihr euch nicht einmal! kurz oder kürzer, i kann nicht so viel lesen sorry

          #236193

          Guten Morgen zusammen,

          danke und prima, dass sich viele am Thema beteiligen B-)

          Eben habe ich dieses Buch heruntergeladen:

          Die Psychiatrie in der Kritik – Die antipsychiatrische Szene und ihre Bedeutung für die klinische Psychiatrie heute
          Autoren: T. Rechlin und J. Vliegen
          Herausgeber ‏ : ‎ Springer-Verlag
          Herausgegeben: 1. Januar 1995

          Zusammenfassung: (…) Im antipsychiatrischen Schrifttum erfolgte dagegen die Vernachlässigung historischer Quellenforschung geradezu systematisch (90). Deshalb wußten die Autoren offenbar nicht, daß ihre Thesen in der Geschichte der abendländischen Psychopathologie, wenn auch zum Teil mit anderen Worten und Akzentuierungen, bereits eine über 2000-jährige Geschichte haben. Aber nach einem ironischen Slogan leben die Psychiatriekritiker der Gegenwart mit einem „Korsakow-Syndrom“ (111)

          Buch: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-642-79091-1.pdf

          Wenn wir nach den Ursprüngen der Antipsychiatrie suchen, dann geht das wahrscheinlich nicht, ohne dass wir uns mit der Geschichte der Psychiatrie beschäftigen. Ich vermute, dass es schon immer Kritik gegeben hat, bezüglich der Art und Weise, wie “Wahnsinnige” behandelt wurden, gesellschaftlich und medizinisch.

          Auf die bisherigen Posts werde ich später eingehen, unter der Woche ist etwas schwierig.

          Liebe Grüße,
          Mowa

          #236194

          wieso hält ihr euch nicht einmal! kurz oder kürzer, i kann nicht so viel lesen sorry

          Hallo @Yvonneee,

          vielleicht kannst Du versuchen, längere Posts querzulesen und etwas daraus mitzunehhmen.

          Ich kenne es auch von mir, früher mehrere Jahre lang, dass die Stress- und Psychoseanfälligkeit und/oder die Neuroleptika das Lesen unmöglich machen können.

          Hoffentlich fällt Dir das Lesen von Texten mit den Jahren wieder einfacher.

          Liebe Grüße,
          Mowa

          #294237
          Pia

            Hier kann man nachlesen, was Jim van Os zum Thema Antipsychiatrie schreibt:

            https://www.psychosenet.nl/wat-kan-de-herstelbeweging-doen/geschiedenis-van-de-herstelbeweging/

             

            #294241
            Anonym

              @Pia, ich bin im Netz nur mit meinem PC unterwegs, dass solltest Du Dir mal überlegen bevor Du blind wirst vom dauernden Handybetrachten !? Mit PC gibt es auf alle Fälle keine vertrauenswürigen Übersetzungsprogramme !

              #294243
              Pia

                Ich kann das genauso gut mit meinem Laptop übersetzen, @Ludwig.

                #294268

                Danke @pia , der Artikel ist wirklich interessant. Dort steht recht weit am Anfang auch, dass die Bezeichnung “Anti-Psychiatrie” vor allem durch ein “Framing” von Professoren und Journalisten entstand. Es ging anscheinend genau darum, Kritik abzuwerten. Das “Framing” hat offensichtlich auch bei mir gut funktioniert, da ich alles was unter dem Titel Antipsychiatrie steht erstmal skeptisch betrachte…

                #294269

                Anleitung zum Übesetzen von Websites für @Ludwig

                1. Link in Microsoft Edge öffnen (ist auf jedem Windows installiert)
                2. Rechte Maustaste irgendwo auf die Seite
                3. “in Deutsch übersetzen” anklicken

                Easypeasy

                Ich finde das Ergebnis ziemlich gut.
                Was ist denn für dich ein “vertrauenswürdiges Übersetzungsprogramm” @Ludwig?
                Eins das auch Satzzeichen richtig setzt?

                #294274
                Anonym

                  @PlanB, hast Du bitte eine Anleitung zu Firefox ?

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