Symbolische oder psychologische Erklärungs- und Verständnismodelle Betroffener

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    Hallo!

    Ich möchte ein Thema aufgreifen, das finde ich viel zu wenig diskutiert wird.

    Wenn in der psychiatrischen Fachwelt über in Psychosen gesprochen wird, werden oft nur Konzepte aus Medizin/Biologie und Psychologie verwendet, um die Erfahrungswelt Betroffener zu beschreiben.

    Da geht es etwa um sehr abstrakte Dinge wie die Hirnstoffwechselfunktionen, die wenig Bezug zu einem konkreten Erleben oder Umgang damit haben. Oder man liest einzelne Kategorien der möglichen Erfahrung, wie Stimmenhören, Wahnvorstellungen und Paranoia oder kognitiven und emotionalen Einschränkungen.

    Mir ist aufgefallen, dass Psychotische Menschen oft für ihre Erlebnisse symbolische Erklärungen oder Modelle entwickeln. Manchmal sind sie symbolisch, manchmal spirituell, manchmal ganz nüchtern. Manchmal entlehnen die Betroffenen sie anderen Quellen, manchmal entwickeln sie sie selbst, entweder rational, manchmal können sie auch recht phantastisch von der Psychose geprägt sein.

    Ich glaube, diese Systemen können oft eine enorm hilfreiche, stabilsierende Wirkung auf Betroffene haben, auch wenn sie oft von aussen phantastisch oder irrational wirken können. Es geht nicht darum, Wahnsysteme zu bestärken. Da liegt in der Tat eine Gefahr drin, dass ein Betroffener die Kontrolle über solche Systeme verliert und sie durch Wahn verfremdet werden. Dieselbe Gefahr besteht ja aber auch bei einer rein  medizinischen Sicht, wenn der Wahn etwa die Erklärungen der Mediziner und die Wirkung der Tabletten verzerrt und dann zu Misstrauen oder irrationalen Vorstellungen über die Behandlung führen kann.

    Es geht darum, dass diese Verständnismodelle den Betroffenen einen Bewussten Umgang und eine bewusste Erklärung und ein Verständnis ihrer erlebten Phänomene bieten kann, und damit Kontrolle über die Erfahrung.

    Beispiele solcher Erklärungen sind vielleicht, in Stimmen nicht blosse krankhafte Sinnestäuschungen zu sehen, sondern sie als konkrete Wesenheiten oder “lebendige” psychologische Personen zu betrachten. Bei vielen Betroffenen fürt die Vorstellung, die Stimmen sein blosse Trugbilder, auch zu einem unangenehmen Gefühl der Leere oder des Sinnverlusts. Während eine reale Persönlichkeit darin zu sehen ermöglicht, alle intuitiven und bewussten aktiven oder passiven sozialen Skills, die ein Mensch im Umgang mit anderen haben kann, auf den Umgang mit den Stimmen anzuwenden.

    Statt die Illusion zu verleugnen, hilft es so vielen, die gesehenen Dinge lieber ernst zu nehmen und respektvoll damit umzugehen. Ich denke das liegt daran, dass so die Erfahrungswelt, und sie auch noch so ein Traum sein sollte, auf psychologisch unentfremdete Weise verarbeitet werden kann. Dies kann, auch bei chronischen Problemen, zu einem besseren Umgang mit dem Erleben, oder nach meiner Vorstellung sogar zu Besserungen führen kann.

    Eine andere Herangehensweise ist, in dem Erleben generell immer auch Lebensprüfungen zu sehen. So etwa wie Verfolgungswahn ein grässlicher Splitter im Auge sein können, kann man sie auch als Konfrontation mit der Angst erkennen und verstehen lernen, um diesen Splitter ziehen zu lernen. Eine Problem mit Grössenwahn und unrealistischem Sendungsbewusstsein – ist anders herum gesehen vielleicht auch eine Prüfung darin, sich selbst treu zu bleiben und erkennen zu lernen, wo die eigenen Grenzen sind und wie Wertvoll Demut ist. In einem affektiven Problem liegt die Herausforderung, Beherrschung lernen zu müssen und mehr gesunde Distanz zu anderen, und wenn das nicht mehr geht, trotzdem den Flug durch halbwegs sichere Bahnen zu lenken.

    Das sind jetzt alle Konzepte, die noch keine direkten Namen haben. In unsere Vorstellung nehmen diese Dinge oft nicht mehr so symbolische, sondern oft ganz konkrete Formen und Namen. Manchmal sind sie mit dem Wahnerleben verbunden, manchmal eine Hilfsvorstellung, die darüber hinaus geht. Manchmal ist das spirituell, oder psychologisch motiviert und benannt.

    Wisst ihr noch solche Kontollvortstellungen aus euren Psychosen oder der Zeit danach, die euch geholfen haben?

     

    Die Vorstellung, die mir persönlich am meisten hilft, ist dass unser Geist eine Art Speichersystem für unsere geistigen Prozesse ist. Alles was wir machen gibt früher oder später ein Feedback, bestimmt welche Dinge wir weiter verstetigen und welche wir transformieren, überwinden und zurücklassen. Wie wir damit umgehen, mit unserem Geist aber auch unserem Leben und anderen, bestimmt dann wo uns das alles hin lenkt.

    Dieses System hat eine Eigenschaft, dass wenn Schutzgrenzen gebrochen werden – dann versiegelt er sich selbst und ändert den Zustand. Unser intaktes, waches Selbst wird oft beim Bruch zurückgezogen und geschützt, stattdessen erleben wir uns dann stärker mit Bezug auf das Erleben und die Verarbeitung dessen. Das Siegel hat dann eine Schutzfunktion, und kann neben allem, was unser Leben weiter aufrecht hält und uns stärkt, nun mit den Gründen für den Bruch der Grenzen aufgeladen sein. Wir erleben dann unsere Psyche oft als immer wiederkehrend beschäftigt mit den Konsequenzen dieser Brüche. Das sind innere Prozesse, die der Integration der durch den Bruch in Widerspruch geratenen Vorstellungen von einem Selbst dienen sollen.

    Dabei sind sie aber auch oft von harten Konfrontationen mit den Themen der zum Bruch führenden Situation geprägt. Jemand etwa, der eine traumatische Situation erlebt, einen Unfall, eine schlimme Situation, Gewalt – dem liegt nun die Last des getanen auf dem Herz und es kann schwer sein, das alte Selbstverständnis wieder zurück zu erlangen. Um zurück zu kommen, muss verstanden werden, worin der Bruch in der Situation lag, welcher Fehler, welche Schuld, welches Unglück oder welcher Zufall, welche Motivationen von einem selbst und anderen da waren und wie verstanden werden können.

    Das kann auch eine Schuld sein durch eine eigene moralische Verfehlung. Es kann aber auch ein Erlebnis als Opfer sein, eine Traumatisierung, in der ein selbstverständliches Gefühl von Sicherheit unvorbereitet gebrochen wurde. Auch Drogen können scheinbar unter ungünstigen Umständen solche Traumata zeugen. Denn die Erfahrung ist plötzlich nicht mehr natürlich verständlich und führt so zum Bruch der inneren Sicherheit, auch wenn man es vielleicht nicht mal bewusst merkt. Dass einem das Problem nicht bewusst ist, ist aber auch (anfangs) scheinbar normal, sonst käme es ja auch nicht zum Bruch mit der Schutzfunktion.

    Grob gesagt, glaube ich dass diese Prozesse uns oft innerlich genau auf das hinführen und damit konfrontieren, was der Kern unserer inneren Probleme und traumatischen Widersprüche ist. Entweder laufen wir dann immer weiter davor weg, und bleiben dann in dem Zustand, wo wir durch die Traumata in Widersprüchen gehalten werden können. Ich glaube aber, es ist möglich diese Dinge für sich zu akzeptieren ohne sich ihnen auszuliefern, und eine geistige Verarbeitung zu bewirken, die die Konflikte auflöst. Wenn die Konflikte ausreichend integriert ist, kann das Siegel meiner Vorstellung nach schwinden, und das wache, widerspruchsfreie Erleben des Selbst wieder in den Vordergrund rücken. Die Erfahrung, die daraus gewonnene Weisheit hingegen bleibt.

    Eine Psychose ist für mich nach diesem Denkmodell eine Konfrontation mit extrem starken, personifizierten Themen. Ich halte auch für möglich, dass äussere Einflüsse darin einen Einfluss haben. Manche Menschen kommen scheinbar schon mit inneren Themen auf diese Welt, oder finden sie spontan durch Lebenserfahrung. Manchmal passiert scheinbar auch, dass ein Mensch plötzlich Traumata in sich trägt, die gar nicht aus seinem Erleben zu stammen scheinen. Das ist teils bei mir massiv der Fall, begleitet von der Vorstellung, ich müsste die psychische Last unzähliger Verbrechen anderer tragen, die sie mir irgendwie insgeheim auf durch missbräuchliche Taten alle zusammen nach und nach aufgetan hätten, damit sie wach sein können ohne ihre Traumata und ihre Schuld überwunden zu haben. Aber vielleicht ist dies nur ein Trauma an sich, das mich zu mehr Vertrauen in die Realität an sich bringen soll, und dazu, über solche Ängste vor unbekanntem Betrug hinwegzusehen um stattdessen mehr auf die Realität zu vertrauen.

    Neben diesen symbolischen Deutungen, habe ich die spirituelle Vorstellung bzw. den Glauben, dass diese “Siegel” eben zum Menschen und seinem Geist gehört. Und dass sie so von Gott gemacht wurden, damit die Menschen, wenn sie sich durch Untaten oder die Gewalt anderer belastet haben oder belastet wurden, innerlich erst alle moralischen Verwerfungen die daraus entstanden sind verwinden müssen, bevor sie wieder im vollen Licht Gottes stehen können, in dem man sich wach und ungeteilt, frei von Angst, Hass und Gier, und eins mit sich selbst und anderen und seinem Herzen fühlen kann. Das ist, damit unser wahres Selbst nicht Schaden an den Verletzungen durch die Traumata nehmen muss, sondern stattdessen an ihrer Verarbeitung an Weisheit wachsen kann.

    Dass diese Erfahrungen bis in Halluzinationen und Sinnestäuschungen einhergehen können, ist etwa krass, aber ist eben nun einmal so. Im Schlaf erleben wir nicht nur das, sondern unsere psychischen Themen als ganze Lebenserfahrung mit Körper und Welt um uns. Auch dort verarbeiten wir meiner Vorstellung nach Traumata. Aber in wachem Zustand, überwinden wir eben in vollem Bewusstsein und wachsen so nicht nur an der Erinnerung der Erfahrungen. Auch hat es seinen Sinn, dass wir diese Erfahrung scheinbar für uns im Geiste machen müssen – denn um sie zu machen, und ihr kennt ja eure Psychosen, fliegen schon mal die Fetzen. Besser man träumt erstmal nur davon, bevor man wirklich was in Fetzen reisst dewegen, bis man es nicht mehr macht. Teilen kann man die Erfahrungen und die gewonnen Weisheit ja trotzdem, einfach indem man anderen davon erzählt.

    (Edit:) Ach so, habe ich erst vergessen…was bedeutet das dann für mich für den Umgang? Naja, ich sehe die Erfahrung der Psychose halt als Komplexe, die aus Schuld- und Traumafragen entstehen, und denen ich mich irgendwie stellen muss um sie für mich verstehen und tragen zu lernen. Dabei sehe ich, und das ist wichtig, die konkrete halluzinatorische Erfahrung als Puffer, in dem das “Siegel” auf dem Geist die Funktion eines Rückkopplungsspeichers hat. Sprich, was man reintut, das nimmt es einem, und gibt es einem auf gewisse Weise wieder zurück. Also lässt man sich auf die Wahnvorstellungen zu sehr ein und geht mit und baut mist damit, dann verfängt man sich immer weiter darin, bis die Erfahrung aufgelöst oder weiterverarbeitet ist (wordurch auf immer). Deswegen auch so wichtig, eine eher passive, möglichst wenig zerstörerische Haltung im Umgang mit den Halluzinationen einzunehmen – ausser dort, wo man sich der richtigen Absicht das entsprechende Selbstbewusstsein aufbauen kann, sich von der (meist ja nicht wünschenswerten) Erfahrung richtig distanzieren zu lernen, nachdem man ihre Natur richtig verstanden hat. Denn was man damit macht, das kriegt man evtl. direkt oder später zurück. Aber auch dann, ist es nur ein Traum, der irgendwann weitergehen kann, wenn er verwunden ist. Im Leben verletzt man sich nur einmal, dann ist die Wunde da und kann heilen oder nicht, sie ist passiert. Im Geist ist alles möglich, auch dasselbe immer wieder zu versuchen, bis man stark genug ist, sowas auch im echten Leben verwirklichen zu können – viele Wunden in der Psychose sind nur Bilder von solchen, zum ertragen, sie wie ein Pflaster abzuziehen, und wieder aufzustehen um den Fehler, der dazu führte das nächste Mal vermeiden zu lernen.

    Puh das war jetzt ausfühlicher als geplant, aber mir fällts schwer das einfacher auszudrücken.

    Was für Vorstellungen helfen euch persönlich, konkret besser mit der Psychose umzugehen und mit den Füssen am Boden der Tatsachen zu bleiben, oder wovon habt ihr in diesem Zusammenhang schon mal gehört?

    • Dieses Thema wurde geändert vor 6 Monate, 1 Woche von ardentglow.
    #342556

    Was für Vorstellungen helfen euch persönlich, konkret besser mit der Psychose umzugehen und mit den Füssen am Boden der Tatsachen zu bleiben, oder wovon habt ihr in diesem Zusammenhang schon mal gehört?

    Das hast Du vortrefflich erklärt. Für mich sind die Stimmen nicht gute Seelen die einen quälen. Auch Selbstmordgedanken habe ich seltener seitdem ich weiß, dass es auf der anderen Seite weitergeht! Ich las auch Bibelzeilen aus der Sicht des Spiritismus! Dadurch habe ich die Erkrankung als Bürde genommen oder nehmen können, die einem einen spirituellen Fortschritt verspricht, sofern man sich nicht umbringt! Vieles was früher wichtig war, ist heute etwas verändert. Ich lasse das Schicksal an mir vorübergehen, selbst wenn die Stimmen mich fertig machen. Ich merke auch wenn es kühler wird, dass es Seelen sind die mich besuchen. Allerdings weiß man nie, ob es gute oder schlechte Kameraden sind! Ich habe auch Bücher von Anton Styger gelesen, was nicht für jeden gedacht ist! Andere Medien die Bücher geschrieben haben, habe ich auch verschlungen. Letztendlich muss man sich den Grenzen stellen. Was ich noch vor zwei Jahren als psychotisch bezeichnen ließe, sind es heute Erregungszustände mit Angst, die gut behandelbar sind, durch Tavor! Benzos sind sowieso mein Allheilmittel, wenn man es nicht übertreibt. Drei bis vier Tage hintereinander Tavor nehmen und das Hirn ist wieder frei von diesem krankhaften Mist! Auch CBD Blüten oder Haschisch, was ja jetzt glücklicherweise legal ist seit heute, sind für mich alternative Medis, die gut wirken!

    Ich schweife ab. Jedenfalls habe ich durch den Spiritismus gelernt, dass vieles relativ ist und das erklärt ja auch Dein Text!

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