Psychosen in der Familie

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  • #39185

    Hallo zusammen,

    letzte Woche habe ich eine Akutsituation aufgrund meiner Psychose-Erfahrungen meistern können: Meine Mutter erkrankte das erste Mal an einer Psychose, die sich ziemlich dramatisch bemerkbar gemacht hat.

    Ich selbst habe bereits vier psychotische Episoden überstanden und jede einzelne Psychose hat mir die Empathie liefern können, die bei der Erkrankung meiner Mutter sehr hilfreich war und ist. Obwohl ich niemandem psychotische Symptome wünsche, bin ich sehr dankbar dafür, dass ich meine Erfahrungen nutzen konnte, um einer sehr nahe stehenden Person in meinem Umfeld helfen zu können.

    Gerne möchte ich die Situation von letzter Woche, als die Psychose meiner Mutter ausbrach, schildern. Bevor ich damit beginne, möchte ich euch noch wissen lassen, dass ich seit dem Tod meines Vaters, der vorletztes Jahr an Leukämie verstarb, bei meiner Mutter zur Miete wohne. Wir führen quasi eine Art “Familien-WG”.
    Vorletztes Wochenende spielten sich anscheinend dramatische Szenen im Kopf meiner Mutter ab: Sie weinte, war dann wieder überglücklich. Sie betonte häufig, dass sie mich sehr lieben würde, was sie sonst nicht so tut. Sie schmiss auch den Kuchen weg, den ich ihr zum Muttertag gebacken hatte und wollte mir sogar ihre Eheringe schenken. Sie zerschnitt, als ich kurz gedöst hatte, meine Blumen auf meiner Fensterbank und schlief auch in meinem Bett. Sie ist Raucherin und hatte mich ständig um Zigaretten gebeten, obwohl sie für gewöhnlich sich selbst um ihre Raucherei kümmert.
    Frühwahnzeichen habe ich bereits vor dem besagten Wochenende bemerkt, sodass ich mir Sorgen machte und sie bat, mit mir zusammen ihren Neurologen aufzusuchen, bei dem sie sich wegen depressiver Symptome in Behandlung befindet. Sie willigte auch ein und wir haben auch eine Einweisung in die stationäre Psychiatrie bekommen. Direkt vom Neurologen machten wir uns auf den Weg in ihre Wunsch-Klinik, welche leider nicht für Notfälle unseres Stadtteils zuständig ist. Allerdings wurde sie dort abgewiesen und auf eine “dringliche” Warteliste gesetzt (bis heute hat warten wir quasi noch auf einen Anruf, dass dort ein Bett frei wird).

    Über das Wochenende spitzten sich ihre Symptome dramatisch zu und ihr Verhalten wurde permanenter und aufdringlicher, sodass ich teilweise schon gereizt war – und ich bin eine sehr gelassene Persönlichkeit für gewöhnlich. Viel schlimmer, als das Verhalten meiner Mutter war allerdings, dass sie weder ihre Herztabletten, noch ihr Insulin genommen hat. Sie ist Diabetekerin und hatte bereits auch schon einen Herzinfakt hinter sich.  Ich kenne sie als eine sehr gewissenhafte Person, die streng darauf achtet, ihre Medikamente nach Plan zu nehmen und Insulin zu spritzen. Nun allerdings “erpresste” sie mich: “Nur, wenn ich eine Zigarette bekomme, nehme ich die Tablette. Nur wenn ich noch eine Zigarette bekomme, spritze ich mein Insulin.” Es machte mich wütend und ich suchte bereits am Sonntag Abend nach Hilfen. Der sozialpsychiatrische “Notdienst” hat am Wochenende geschlossen und verwies auf den kassenärztlichen Notdienst. Als ich diesen alarmierte, kam nach rund zwei Stunden eine Ärztin. Meine Mutter schlief in meinem Bett, was sie sonst nie macht. Die Ärztin und ich hatten Mühe, sie zu wecken und als sie halbwegs wach war, hatte sie immer noch nicht den Ernst der Lage erkannt. Die Ärztin leider auch nicht. Diese bat meine Mutter lediglich ihren Blutzucker zu messen und verschwand anschließend, mit dem Hinweis, dass wir Montag ja in die psychiatrische Institutsambulanz könnten. Als ich googelte, fand ich heraus, dass man hierfür ebenfalls noch eine Überweisung vom Facharzt braucht, was für uns noch einmal einen gesonderten Gang zum Neurologen erfordert hätte, den ich auch am Montag Morgen vergeblich versuchte umzusetzen.

    Die Lage war dramatisch, meine Mutter nahm nicht nur ihre Medikamente nicht, sie rief nicht nur komische Dinge, sondern sie wurde auch fahrlässig eigen- und fremd gefährdend, indem sie z.B. die Kaffeemaschine ohne Wasser anstellte und liefen ließ, ohne es zu merken. Sie stiftete ein Chaos in der gesamten Wohnung und ging nicht auf meine Bitten, die langsam zu vehementen Aufforderungen wurden ein, sich anzuziehen, damit wir zum Neurologen können. Als ich daraufhin telefonierte, um Hilfen zu bekommen, rief sie laut neben mir verwirrte Dinge und flippte aus.
    Ich telefonierte mit dem sozialpsychiatrischen “Notdienst”, der nun geöffnet hatte. Dieser rief mich dann nach rund zwei Stunden zurück, lediglich um auf den Hausarzt zu verweisen. Diesen rief ich an und schilderte der Sprechstundenhilfe die Situation. Es dauerte rund zwei Stunden, bis der Arzt mich zurück rief und mir erklärte, dass er nichts machen könne, da meine Mutter keinen gesetzlichen Betreuer hat. Daraufhin telefonierte ich erneut mit dem sozialpsychiatrischen Notdienst, welcher sich ersteinmal beratschlagen müsste. Erneut wartete ich auf einen Rückruf, der lediglich dazu da war, um mir mitzuteilen, dass wir in einem anderen Bezirk wohnen und diese Stelle nicht zuständig sei für unseren Stadtbezirk. Immerhin bekam ich die Nummer des sozialpsychiatrischen Notdienstes vom zuständigen Bezirk.
    Ich rief an: Anrufbeantworter. Büro nicht besetzt. Wohlbemerkt verhielt sich meine Mutter stetig wilder und rief während jeden Telefonats laut Dinge hinein, die völlig zusammenhanglos waren und mich enorm beim nach Hilfe telefonieren störten.

    Letzter Ausweg: 112. Die kamen dann auch zeitnah. Meine Mutter verweigerte allerdings die ärztliche Versorgung. Weder Blutdruck, noch Blutzucker durfte das Rettungspersonal bei ihr messen. Also alarmierten diese auch die 110. Full House: Wir hatten Besuch von zwei Rettungspersonalleuten und zwei Polizisten, die alle Mühe hatten, meine Mutter zu überreden, sich behandeln zu lassen und in ein Krankenhaus zu fahren. Auf diplomatischen Wege funktionierte das nicht. Nach aller Geduld trat also der “worst case” auf und sie kam per Blaulicht in Handschellen auf die geschlossene Station unseres Sektorkrankenhauses. Eigentlich wollte ich genau diese Situation umgehen.

    Mittlerweile ist seit diesen Ereignissen viel passiert. Meine Mutter wird wieder klarer und kommt wahrscheinlich sehr bald auf die offene Station – und das, obwohl sie per Richterbeschluss noch ein paar Tage untergebracht ist. Das ist ungemein beruhigend. Ohne meine Erfahrungen hätte ich nicht gewusst, was die Verhaltensänderungen meiner Mutter darstellen sollten und hätte nicht den bürokratischen Telefonweg versuchen können, hätte vielleicht noch nicht einmal die 112 angerufen. Schlimmeres hätte passieren können. Und ich hätte nicht die Empathie,  zu wissen, wie sich meine Mutter in der Psychose fühlt, was für Dinge sie benötigt, wie ich ihr helfen kann.

    Dass genetische Faktoren bei der Vererbung von Schizophrenien eine Rolle spielen, wusste ich ja bereits. Das Selstsame dabei ist, dass ich als Tochter mehrere psychotischen Episoden hatte und meine Mutter im mittleren Alter ihre erste Psychose erlebt hat und davor nichts derartiges war.

    Auch finde ich, dass der Weg in Akutsituationen sich weniger aufwendig gestalten sollte. Es kann einfach nicht sein, dass die 112 der einzige Weg zur Hilfe ist, wenn es sozialpsychiatrische Notdienste gibt. Hier sehe ich in unserer Gesellschaft dringenden Handlungsbedarf.

    Habt ihr Erfahrungen mit Psychosen in der Familie machen können? Oder vielleicht ähnliche bürokratische Hürden meistern müssen, bevor ihr Hilfe erhalten habt?

     

    Viele Grüße  :rose:


    “Der Sinn des Lebens besteht in der Erfüllung der wahrhaftigen Prinzipien der Liebe, nach denen jedes Lebewesen leben kann, will und soll. Sie zu erkennen, zu reflektieren und nach ihnen zu fühlen, zu denken und zu handeln, ist der Prozess, bei dem es im Leben geht.”

    • Dieses Thema wurde geändert vor 4 Jahre, 10 Monate von Cellardoor.
    #39200
    Anonym

      .

      #39205

      hier bei mir gibt es keinen sozialpsychatrischen notdienst

      #39287
      Anonym

        Hi @cellardoor, das ist viel was dir da abverlangt wurde, Hut ab hast du im Rahmen der bescheidenen Hilfsmöglichkeiten gut gemeistert.

        Ich selbst Psychose,hatte eine Schwester und Mutter die Schizophrenie hatten. Erste diagn. und zuerst behandelt, dann Medis aufgehört und Suizid begangen. Mutter nicht diagn. direkt, nur durch Schwester Krankheit checkten wir und Ferndiagnose das sie auch erkrankt ist. Hatte alle Klass. Symptome Verfolgungswahn, Vergiftungswahn, Halluzinationen etc. Das war für uns 3 Kinder sehr schlimm. Fing schon an als wir klein waren mit wenigen Sy. die mehr mit Mißtrauen zu tun hatten und mehrten sich zu Geschichten wo ich mich schon als Kind fragte kann das so sein? Bis hin zu den eindeutigen Sy. wenn man sie denn kennt. Ich hab es meiner Mutter auf den Kopf zugesagt das sie schwer krank ist und Hilfe braucht, wir lebten in verschiedenen Ländern, konnte aber sonst nix machen. Sie starb letztlich durch einen Autofahrer der sie bei Aquaplanning am Fahrrad erwischte und überfuhr. Tragisch.

        Ich hoffe für dich sehr, das deine Mutter eine Einsicht bekommt das sie krank ist, + Hilfe braucht und diese annimmt.

        Alles Gute dafür, Lg, Bernadette

        #39305

        @cellador, puh normalerweise lese ich nicht so lange Berichte, weil mich das sehr anstrengt. Nun, Du hast ja wirklich alles versucht es auf ruhigem Wege hinzukriegen. Ja, ist wirklich Mist, das es so umständlich war. Bei mir ging es (weil ich selbst einsah das es zu spät ist für eigenen WEg) schnell. Wir waren bei einem Krankenhaus, die sagten wir sollten zum psychiatrischen Dienst beim Gesundheitsamt. Die sprachen mit mir und da meine Mom den Hund nahm, brachten die mich gleich in die klinik. Dor wurde auch gelobt das ich mich noch gut artikulieren konnte, daher offene Station.

        Egal, wichtig ist jetzt erstmal das es Deiner Mom besser geht. Ich wünsche Euch das sie auch das Einsehen hat Medis zu nehmen und schnell stabil wird.

        Dir noch viel Kraft dafür. :bye:


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        D / 49Jahre
        Quetiapin 200 +400 , Risperidon 2mg, Doxepin 2x 50mg,
        Ofiril 2x 150mg, Bedarf Lorazepam

        #39306
        Anonym

          hallo,

          in meiner doch großen Familie bin ich wohl der einzigst diagnostizierte mit F 20.

          Mein Vater zählt wohl zu Menschen, die ihren Gefühlen lautstark Ausdruck verleihen, ja, aber er war bisher glaube ich noch nicht einmal im Allgemeinkrankenhaus.

          Auch sonst gibt es keine Leute in meiner Familie mit Diagnose. Ein Uropa von mir soll wohl den 7. Sinn gehabt haben, ob das in der Zeit so genannt wurde, kann sein..

          Ich leide schon des öfteren unter High Expressed Emotions, wie es im Fachjargon heißt, aber es gab noch keinen Anlass den Sozialpsychiatrischen Dienst zu rufen.

          Ich selbst, der jetzt mit 37 Jahren, dass dritte Mal eine Psychose hatte, bin zwischen den Zeiten auch recht frei von Symptomen.. Meine Lebenssituation hat sich halt drastisch verändert und Da würden auch “normale” Leute ihren Depri schieben..

          Alles Gute für Dich und Deine Familie @cellardoor

          #39320
          Anonym

            Ich habe für verschiedene Themen verschiedene Ansprechpartner, genau wie jeder Andere in meiner Familie, sodass bei Interessendivergenz jederzeit ein Ausweichen möglich ist. Ich erinnere mich aber noch gut an den Tag, als ich eine Waffe in Vaters Nachttisch fand, als ich ihm eine Pediküre machen wollte und die Gerätschaften aus der Schublade nehmen wollte. In dem Moment achtete ich natürlich intensiver darauf, ob er in Gedanken ist. Letztendlich führte der Fund dazu, dass meine Tochter nicht mehr bei meinen Eltern übernachtet, obwohl das Ordnungsamt die Waffe sofort an sich nahm. Die beste Erfahrung hab ich in solchen Momenten damit gemacht, vorvereinbarte Codeworte zu nutzen, die dem Anderen signalisieren, dass man sich grad überlastet fühlt, und ihn zu bitten andere Lösungswege anzustreben, damit mein Stress nachlässt, während ich mich zurückziehe. Bei Untermiete ist das wahrscheinlich kompliziert. In Dresden bietet der PTV-Sachsen innerhalb des Plan B dafür eine Rückzugswohnung an, sodass ich meinen Gegenüber nicht per Gegenprojektion überfrachte. Die ist dann aber für mich selbst.

            #51569

            • Diese Antwort wurde geändert vor 4 Jahre, 8 Monate von Yuri.
            #51581
            Anonym

              Wenn etwas unwahrscheinlich klingt, strengt das Zuhören an. Zum Glück ermöglicht audioboom in solchen Momenten trotzdem Öffentlichkeit, sodass keine der Wahrnehmungen ungehört verschellen.  #OpenDialogue

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